Triest / Trieste, Trst

Triest, Palazzo municipale. Postkarte, versandt 1907. Bildnachweis: Wikimedia Commons.
Triest, Palazzo municipale. Postkarte, versandt 1907.

von Péter Techet

Inhaltsverzeichnis

1 Triest als Spiegelbild der Habsburgermonarchie (Konstellationen)
2 „Nationaler Besitzstand“: Wem gehörte die Stadt? (Differenzen)
3 Erinnerungsort Triest (Bedeutungen)
4 Weiterführende Literatur
5 Einzelnachweise
6 Zitierempfehlung

Triest als Spiegelbild der Habsburgermonarchie (Konstellationen)

Die Stadt Triest (auf italienisch Trieste, auf slowenisch Trst) befindet sich heute in einer politisch, kulturell und wirtschaftlich peripheren Lage im Nordosten Italiens (nahe der slowenischen Grenze). Dennoch war die Stadt bis 1918 die wichtigste Hafenstadt des damals zweitgrößten europäischen Staates, der österreichisch-ungarischen Monarchie. Triest war durch die Verflechtung ethnischer, religiöser und gesellschaftlicher Differenzen geprägt, die die Stadt zu einem politisch umkämpften Ort machte: Nationalisten beanspruchten nämlich während und nach der Herrschaft der Habsburger die ganze Stadt für sich. Triest war jedoch vielfältiger, als dass die Stadt einer einzigen Nation hätte zugeschrieben werden können.

„La Ricreazione“, die italienische, katholische Zeitung von Triest, charakterisierte die Hafenstadt 1897 als „mixtum compositum“, da sich verschiedene Kulturen und Sprachen im alltäglichen Leben überlappten.[1] Die österreichischen Volkszählungen konnten aber die in Triest weit verbreitete Mehrsprachigkeit nicht erfassen: Es durfte nämlich nur eine einzige Sprache als Umgangssprache angegeben werden. Nach der letzten österreichischen Volkszählung (1910) benutzten die Bewohner die folgenden Sprachen als ihre erste Umgangssprache: Italienisch-Ladinisch (62 %), Slowenisch (30 %), Deutsch (6 %) und Serbo-Kroatisch (1 %).[2] Eine zeitgenössische, slowenischsprachige Satirenzeitschrift („Juri s puško) leitete in den 1880er-Jahren den italienischen Stadtnamen „Trieste“ ironisch aus dem slowenischen Satz „Trije ste“ („Ihr seid zu dritt“) ab.[3] Denn die Stadt befinde sich am Kreuzweg von drei Kulturräumen, des italienisch-mediterranen, des südslawisch-balkanischen und des germanisch-alpinischen, und bilde dementsprechend die Vielfältigkeit der Habsburgermonarchie ingesamt ab.

„Nationaler Besitzstand“: Wem gehörte die Stadt? (Differenzen)

Infolge der statistisch festgestellten „Sprachenzugehörigkeiten“ entstanden nationalistische Ansprüche auf Territorien, die als „nationaler Besitz“ galten. In diesem Sinne wurde Triest sowohl von „italienischer“ als auch von „slowenischer“ Seite – das heißt in den jeweiligen nationalistischen Diskursen – als „Besitz“ beansprucht. Die italienische, liberale Elite von Triest bediente sich der „Illusion einer rein italienischen Stadt“ (wie es ein italienischer Triestiner Sozialdemokrat kritisch feststellte).[4] Dieses Bild klammerte die slawischen und deutschen Elemente der städtischen Kultur aus.

Die katholische Kirche strebte vor Ort die Überwindung der nationalen Polarisierung an. Franz Xaver Nagl, von 1902 bis 1910 Bischof von Triest, schrieb in einem Hirtenbrief: „Die Kirche hat nicht den Beruf, der Sprache eines Volkes zum Übergewicht über die eines anderen zu verhelfen… O dass doch die Völker diese katholischen Grundsätze, die ihnen ihr Glaube an die Hand gibt, beachten würden! Der Ruhm des katholischen Österreichs, der Hort der Nationen zu sein, er würde nicht gefährdet…“.[5] Die nationalen Differenzen griffen jedoch auf das katholische Kirchenleben über, weil sich nationalistische Agitatoren kirchlicher Formen bedienten, um die Religion für nationale Zwecke zu instrumentalisieren. Slowenische Katholiken wurden etwa 1900 von italienischen Gegendemonstranten verhindert, der Fronleichnamsprozession mit slowenisch beschrifteten Kirchenflaggen beizuwohnen. Ihre Teilnahme störe den italienischen Charakter der Stadt, meinte ein sonst antiklerikaler, italienischer Stadtrat[6]. Als auch ein slowenischer Priester die slowenischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer vom Tragen der Kirchenflaggen abzuraten versuchte, wurde er angegriffen und ausgepfiffen.[7] Dieser Vorfall zeigt, wie einem kirchlichen Symbol national-politische Bedeutung beigemessen werden konnte.

Selbst der österreichische Kulturkampf wurde – anders als im Deutschen Reich – mit nationalen Kategorien belastet. Denn in Triest wurden die Frontlinien zwischen klerikalen und antiklerikalen Positionen mit nationalen Zugehörigkeiten beschrieben: „Antiklerikale Italiener“ hätten demnach „klerikalen Slowenen“ gegenüber gestanden, obwohl beide Lager – Katholizismus und Antiklerikalismus – national gemischt waren. Die italienischen Katholiken der Stadt befanden sich dabei in einem Konflikt: Sollten sie der katholischen Kirche oder der italienischen Nation gegenüber loyal sein? Die meisten von ihnen konnten das supranationale, katholisch geprägte Habsburgerreich eher als Vaterland akzeptieren als den jungen italienischen Nationalstaat, der sich von Anfang an gegen die weltliche Macht der katholischen Kirche, verkörpert im Kirchenstaat, gewandt hatte.

Die habsburgische Idee eines multikulturellen Reiches wurde in Triest außer von der katholischen Kirche auch von der italienischsprachigen Sozialdemokratie getragen, die sich vornehmlich auf die sozialen Probleme anstatt auf nationale Fragen konzentrierte.

Erinnerungsort Triest (Bedeutungen)

In der post-habsburgischen Epoche wurde die sprachlich-kulturelle Vielfalt der Stadt lange Zeit bekämpft. Mit diesem Ziel wurde etwa das Hauptgebäude slowenischer Vereine (das sog. Narodni Dom) am 13. Juli 1920 von den italienischen Faschisten niedergebrannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg ließen sich dann italienische Emigranten – die das kommunistische Jugoslawien hatten verlassen müssen – in Triest nieder. Ihr Verhältnis zu den in der Stadt verbliebenen Slowenen war belastet.

In den letzten Jahrzehnten hat sich jedoch ein Diskurs über die Geschichte der Stadt etabliert, in dem die Habsburger Zeit als eine der Multikulturalität und der harmonischen Vielfalt gedacht wird. Dieser Diskurs kann auch als Kritik an der derzeitigen, randständigen Situation der Stadt verstanden werden. Der Gedanke eines mitteleuropäischen Triest wird häufig in der Literatur aufgerufen, etwa in den Werken des italienischen Germanisten und Dichters Claudio Magris, des italo-slowenischen Schriftstellers Boris Pahor oder des italo-ungarischen Essayisten Giorgio Pressburger.

weiterführende Literatur

Angelo Ara / Claudio Magris, Triest: Eine literarische Hauptstadt in Mitteleuropa, München 1987.

Pamela Ballinger, Imperial nostalgia: mythologizing Habsburg Trieste, in: Journal of Modern Italian Studies 8 (2003), S. 84–101.

Marina Cattaruzza, Sozialisten an der Adria. Plurinationale Arbeiterbewegung in der Habsburgermonarchie, Berlin 2011.

Sabine Rutar, Kultur – Nation – Milieu. Sozialdemokratie in Triest vor dem Ersten Weltkrieg, Essen 2004.

Oliver Schneider, „Triest“. Eine Diskursanalyse, Würzburg 2003.

Einzelnachweise

  1. La Ricreazione, 1. Mai 1897.
  2. Daten in: Bureau der K. K. Statistischen Zentralkommission (Hg.), Die Ergebnisse der Volkszählung vom 31. Dezember 1910 in den im Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern. 1. Heft: Die summarischen Ergebnisse der Volkszählung, Wien 1912.
  3. Zitiert nach: Miran Košuta, Trije ste, in: Lo Straniero, 2016/8–9
  4. Angelo Vivante, Irredentismo adriatico, Triest 1984 [1912], S. 177.
  5. Hirtenbrief vom 15. Februar 1903, in: Archivio di Stato di Trieste, Luogotenenza (Statthalterei), Atti Generali, b. 1263, fasc. 42.2., 1903/5482.
  6. Sitzung des Stadtrates von 21. Juni 1900, in: Verbali del consiglio della città di Trieste, Annata XL – 1900, Triest 1900, S. 43f.
  7. Polizeibericht vom 14. Juli 1900, in: Archivio di Stato di Trieste, Luogotenenza (Staathalterei), Atti presidiali, b. 229, 1900/43.

Zitierempfehlung

Péter Techet, Triest / Trieste, in: Ortstermine. Umgang mit Differenz in Europa, hg. für das Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG) v. Joachim Berger, Irene Dingel und Johannes Paulmann, Mainz 2016. URL: http://www.ieg-differences.eu/ortstermine/peter-techet-triest, URN: urn:nbn:de:0159-20161020437.

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Abbildungsnachweis

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