Ronneburg bei Gera

Inhaltsverzeichnis
1 Ein 32-jähriger Krieg (Konstellationen)
2 Friede auf Erden – Friede zwischen Gott und den Menschen (Differenzen)
3 Kriegsbewältigung und Friedensvermittlung im frühneuzeitlichen Europa (Bedeutungen)
4 Weiterführende Literatur
5 Einzelnachweise
6 Zitierempfehlung
Ein 32-jähriger Krieg (Konstellationen)
Ronneburg, heute eine Kleinstadt von gut 5.000 Einwohnern, liegt wenige Kilometer östlich von Gera im Bundesland Thüringen. Der Ort hatte seit 1304 Stadtrecht und gelangte kurz danach unter wettinische Herrschaft; von 1603 bis 1672 gehörte er zum Herzogtum Sachsen-Altenburg. Ronneburg ist ein Ort, der nie im Mittelpunkt des europäischen Interesses gestanden hat und kaum außergewöhnliche Ereignisse zu vermelden hat. Dennoch wird er hier behandelt: Denn Ronneburg bietet ein typisches Beispiel für eine weitverbreitete Form der Bewältigung von gewaltsam ausgetragener Differenz bzw. der Beilegung dieses kriegerischen Austragens: die Friedenspredigten.
Am Ende des Dreißigjährigen Kriegs, der sich unter anderem an der konfessionellen Differenz zwischen Protestanten und Katholiken entzündet und weite Teile Mitteleuropas erschüttert hatte, standen die mehrjährigen Friedensverhandlungen von Münster und Osnabrück. Begleitet wurden diese Verhandlungen von Hoffnungen und Erwartungen sowie – nach ihrem erfolgreichen Abschluss – von Jubel und Erleichterung, jedenfalls in den protestantischen Gebieten des Heiligen Römischen Reichs; für viele katholische Territorien galt der Westfälische Friede nicht als Grund zum Feiern.
Schon nach Eintreffen der Nachricht von der Unterzeichnung der Friedensverträge im Oktober 1648 kam es zu spontanen oder durch die Obrigkeit angeordneten Friedensfeiern in zahlreichen Städten und Orten vor allem Süd– und Mitteldeutschlands. Weitere Feiern folgten zu speziellen Festtagen im Jahr 1649. Als sich die Vertreter der Konfliktparteien, die Gesandten Schwedens, Frankreichs und des Kaisers sowie Abgesandte zahlreicher Reichsstände im Juli 1650 auf dem Nürnberger Friedensexekutionskongress über die offenen Fragen des Truppenabzugs und der Umsetzung der Friedensbeschlüsse geeinigt hatten, nahmen die Friedensfeiern noch einmal an Zahl zu. Denn erst damit war der Dreißigjährige Krieg – nach 32 Jahren – endgültig beendet.
Friede auf Erden – Friede zwischen Gott und den Menschen (Differenzen)
Die Feiern zum Kriegsende und zum Friedensschluss fanden unter großer Anteilnahme aller Bevölkerungskreise statt. Keine dieser Feiern, ob sie nun von der Obrigkeit als Friedens- und Dankfest angeordnet und geregelt oder als spontane Initiative von Bürgergemeinden organisiert waren, verzichtete auf einen Gottesdienst mit Predigt; viele Feiern wurden auch von mehreren Gottesdiensten eingerahmt. Teils zog die Bevölkerung geordnet nach Ständen in Prozessionen in die Kirche ein, teils wurden aufwendige Musikaufführungen integriert, teils das Ereignis mit Kanonendonner zelebriert. Fast immer läuteten sämtliche Kirchenglocken der Umgebung zur Vorbereitung und zur Ankündigung des Gottesdienstbeginns. Wenn dem Fest eine Anordnung der Obrigkeit vorausgegangen war, wurden in dieser häufig der Ablauf des Gottesdiensts, die Lieder und der Bibeltext, über den gepredigt werden sollte, vorgegeben.
Die allermeisten dieser Friedenspredigten, die zu Tausenden in den Jahren nach dem Westfälischen Frieden gehalten wurden, sind verloren. Sie wurden gehört – und beherzigt oder vergessen, hinterließen jedenfalls keine uns heute zugänglichen Spuren. Doch nicht wenige Prediger vor allem protestantischer Konfession, ließen seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ihre Predigten drucken, entweder sofort als Einzeldrucke oder später gesammelt. So erschienen Druckausgaben von Tauf-, Geburtstags-, Hochzeits- und Trauerpredigten, aber auch Festtagspredigten aus besonderen Anlässen, wie die Friedenspredigten. Auch wenn man nicht weiß, ob die Predigten so gehalten wurden, wie sie gedruckt wurden, kann man zumindest sagen, dass ihre Prediger sie so der Nachwelt überliefern wollten.
An dieser Stelle kommt nun Ronneburg ins Spiel. Hier war seit 1625 Philipp Wernicke (1594–1665) als Superintendent und Pastor tätig. Wernicke hatte also von Beginn seiner Tätigkeit als Pastor an in Kriegszeiten gepredigt. Gegen Ende des Dreißigjährigen Kriegs ließ er drei seiner Friedenspredigten in Gera bzw. Zwickau drucken: Eine Weihnachtspredigt des Jahres 1647 über den Frieden auf Erden, die er noch vor Abschluss der Friedensverhandlungen hielt (aber vermutlich danach drucken ließ)[1], eine Predigt nach Bekanntwerden der Nachricht des Friedensschlusses von Osnabrück[2] und eine dritte Predigt aus Anlass des Nürnberger Friedenskongresses 1650, als im Herzogtum Sachsen-Altenburg auf Befehl von Herzog Friedrich Wilhelm II. ein Friedensfest veranstaltet wurde.[3]
Die erste Predigt interpretiert den Krieg als Strafe Gottes für die menschlichen Sünden. Der menschliche, weltliche Friede sei nur Teil der äußeren Lebensumstände. Entscheidend sei der geistliche Friede zwischen Gott und den Menschen, der durch Buße und Gebet von Gott zu erbitten sei. Aus ihm erst folgten eine Bekräftigung der öffentlichen Ordnung, Liebe, Eintracht und Versöhnung. In der zweiten Predigt, gehalten nach Verkündigung des Friedens, preist Wernicke den Frieden als höchstes der zeitlichen und äußerlichen Güter. Er jubiliert über die Befreiung vom Krieg, malt die Verheißungen des wiedergewonnenen Friedens aus und feiert die beteiligten Fürsten für ihr Werk. Die letzte Predigt von 1650 enthält dagegen auch dunklere Töne: Wernicke lobt nicht nur den Frieden, sondern schildert auch die Übel und Schrecken des überstandenen Kriegs in den düstersten Farben. In die Predigt integriert er Darstellungen der Gewalt, die Ronneburg und die wettinischen Lande insgesamt erdulden mussten, und fügt dem Predigtdruck eine Chronik der Ereignisse während der vergangenen 32 Jahre bei. Nun kommt auch wieder das konfessionelle Motiv für den Krieg zum Vorschein, wenn er zwar die Einigkeit der Christen betont, aber doch darum bittet, dass Gott den konfessionellen Gegnern Einsicht in ihre Irrtümer verleihen möge.
Kriegsbewältigung und Friedensvermittlung im frühneuzeitlichen Europa (Bedeutungen)
Geben diese drei Predigten Wernickes nur die Sicht eines einzelnen mitteldeutschen Predigers auf Krieg und Frieden wieder (Reaktionen aus seiner Gemeinde auf die Predigten haben sich nicht erhalten), so erlauben sie doch einen Einblick, wie die Menschen nach Ende des Dreißigjährigen Kriegs die zurückliegenden Ereignisse zu bewältigen versuchten oder bewältigen sollten. Pastoren wie Wernicke versuchten mit ihren Predigten dazu beizutragen, die gesellschaftliche Ordnung wieder zu stabilisieren und Krieg und Frieden in einen christlichen Deutungsrahmen einzufügen. Zudem nahmen sie häufig die Aufgabe wahr, als Chronisten ihrer Gemeinden die geschichtlichen Ereignisse aufzuzeichnen. Sie unterstützen somit gleichermaßen die als christlich legitimiert verstandene Obrigkeit und trugen zum kollektiven Gedächtnis ihrer Gemeinden bei. Die Überlieferung der Predigten Wernickes im Druck macht so den unbedeutenden Ort Ronneburg zu einem Beispiel für den Umgang mit Differenz im Europa der Frühen Neuzeit. Heute sind diese Zeugnisse digitalisiert problemlos einsehbar und erlauben eine Zeitreise in die Denkweisen der Vergangenheit.
weiterführende Literatur
Heinz Duchhardt, 1648 – das Jahr der Schlagzeilen. Europa zwischen Krise und Aufbruch, Wien 2015.
Georg Schmidt, Der Dreißigjährige Krieg, München 8. Aufl. ed. 2010.
Luise Schorn-Schütte, Gottes Wort und Menschenherrschaft. Politisch-theologische Sprachen im Europa der Frühen Neuzeit, München 2015.
Einzelnachweise
- ↑Philipp Wernick, Friede auff Erden. Das ist Eine Christliche Friedens-Predigt Darinnen der Him[m]lischen Heerscharen und Heiligen Engelein herrlicher Friedes-Wuntsch … erkläret und der Weltliche und Geistliche Zeitliche und Ewige Friede der werthen Christenheit von Hertzen gewünschet wird. Durch Gottes Gnade gehalten in der Kirchen zu Ronnenburg am Heiligen Christ-Tage, Gera 1648. VD17 39:110857S. PURL: <http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:gbv:3:1-30066>.
- ↑Philipp Wernick, Herrlicher Friede und sehr grosse Freude Im heiligen Römischen Reiche und Königreiche Schweden. In einer Christlichen Friedens-Predigt/ über den 133. Psalm/ Siehe wie fein und lieblich ists … Neben der Herrligkeit/ Liebligkeit und Nutzbarkeit des lieben Friedens beschrieben/ und Gott dem Herrn zur schuldigen Danckbarkeit … den 15. Novembris in der Kirchen zu Ronnenburg fürgetragen, Zwickau 1648. VD17 39:110860V. PURL: <http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:urmel-28273dcb-c4a1-4777-ae0a-49e8f6206e669-00000353-024>.
- ↑Philipp Wernick, Ronnenburgisch Lob- und Danck-Opfer/. Welcher Der Allerheiligsten Dreyfaltigkeit … zu sonderlichen Lob/ Ehr und Preiß und schuldiger Danckbarkeit für den im H. Römischen Reiche gegebenen Frieden. Auff Hochlöbliche Anordnung … Des … Herrn Friderich Wilhelms/ Hertzogen zu Sachsen/ Jölich/ Cleve und Berg … Am angestelten Fried- und Danckfeste den 19. Monats-Tag Augusti … in der Christlichen Kirchen zu Ronnenburg … in der Ampts-Predigt offeriret, Gera 1650. VD17 39:110864A. PURL: <http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:3:1-69881>.
Zitierempfehlung
Henning P. Jürgens, Ronneburg bei Gera, in: Ortstermine. Umgang mit Differenz in Europa, hg. für das Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG) v. Joachim Berger, Irene Dingel und Johannes Paulmann, Mainz 2016. URL: http://www.ieg-differences.eu/ortstermine/henning-juergens-ronneburg, URN: urn:nbn:de:0159-20161020378.
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Abbildungsnachweis
Dguendel, CC BY 3.0