Galapagos-Inseln / Islas Galapagos
von Elke Ackermann

Inhaltsverzeichnis
1 Internationaler Schauplatz der Evolution (Konstellationen)
2 Ein Denkmal für säkulare Weltanschauung (Differenzen)
3 Kontroversen im Wissenschaftsparadies (Bedeutungen)
4 Weiterführende Literatur
5 Einzelnachweise
6 Zitierempfehlung
Internationaler Schauplatz der Evolution (Konstellationen)
Die Galapagos-Inseln wurden im Laufe der letzten 150 Jahre zum symbolischen Schauplatz für die Entstehung evolutionsbiologischer Erklärungen des Lebens und infolgedessen für konkurrierende religiöse und säkulare Weltanschauungen. Im 20. Jahrhundert erreichte diese Bedeutungszuschreibung einen ersten Höhepunkt. Anlässlich der Jahrhundertfeiern zur Publikation „Über die Entstehung der Arten“[1] des britischen Naturwissenschaftlers Charles Darwin erklärte die ecuadorianische Regierung die Galapagos-Inseln 1959 zum Nationalpark. Die Regierung begründete diese Maßnahme mit der Einzigartigkeit der Tier- und Pflanzenarten, die Darwin nach seinem Besuch der Inseln 1835 zur Formulierung evolutionstheoretischer Überlegungen angeregt hatten, und die das Interesse internationaler Wissenschaftler dauerhaft prägten.[2] Die Erinnerung an die Person Darwins, seinen entscheidenden Beitrag zur Evolutionstheorie und ihre Bedeutung für die westlichen Naturwissenschaften sollte so in ein „lebendiges Museum der Evolution“, die Galapagos-Inseln, eingeschrieben werden und der Nachwelt erhalten bleiben.
Dieser Bedeutungszuwachs der Galapagos-Inseln am Ende der 1950er-Jahre markiert eine signifikante Wende in ihrer Geschichte. Denn der Archipel, der circa eintausend Kilometer westlich der Küste Ecuadors liegt, war seit der offiziellen Entdeckung (1535) lange Zeit als eher unbedeutend angesehen worden. Die Abgeschiedenheit, die schroffen Vulkanlandschaften, die von Reptilien dominierte Tierwelt sowie chronischer Trinkwassermangel schienen von einer von Gott verlassenen Gegend zu zeugen, die bis ins 19. Jahrhundert nur sporadisch Freibeuter und Walfänger, später einige gesellschaftliche Aussteiger anzog. Selbst für die ecuadorianische Regierung, die Galapagos 1832 in Besitz nahm, waren die Inseln anfangs nicht mehr als ein strategischer Außenposten. Dieses Bild änderte sich erst im Laufe des 20. Jahrhunderts. Die internationale Bedeutung der Inseln nahm in dem Maß zu, in dem immer mehr Wissenschaftler, vor allem aus Europa und Nordamerika, auf die Galapagos als dem „Mekka“ der Evolutionsbiologie pilgerten und den wissenschaftsgeschichtlichen Stellenwert der Inseln untermauerten.
Ein Denkmal für säkulare Weltanschauung (Differenzen)
Indem Charles Darwin eine rein biologische Erklärung für die Entstehung und Vielfalt des Lebens formulierte, lieferte er Zündstoff für weltanschauliche Debatten zwischen säkularen und religiösen Deutungen der Ursprünge und Entwicklung der Menschheit. Welche Spannungen sich zwischen naturwissenschaftlichen und religiösen Weltdeutungsmustern ergaben, zeigt sich beispielhaft im „Darwin-Jahr“ 1959. Julian Sorrel Huxley, einer der führenden britischen Biologen, Vertreter der synthetischen Evolutionstheorie und Enkel eines der prominentesten Verfechter der Darwinschen Evolutionstheorie, hielt am 26. November 1959 eine Rede im Rahmen einer von der University of Chicago organisierten Festwoche zu Ehren Darwins. Von der Kanzel der Rockefeller Memorial Chapel herab prognostizierte Huxley: „Future historians will perhaps take this Centennial week as epitomizing an important critical period in the history of this earth of ours – the period when the process of evolution, in the person of inquiring man, began to be truly conscious of itself“[3].
In dieser „Evolutionary Vision“ brüskierte Huxley Pressestimmen zufolge[4] viele seiner Zuhörer und die weitere Öffentlichkeit, indem er hinzufügte: „In the evolutionary pattern of thought there is no longer either need or room for the supernatural. The earth was not created; it evolved. So did all the animals and plants that inhabit it, including our human selves, mind and soul as well as brain and body. So did religion.“[5] Religion war in diesem biologisch-säkularen Verständnis ein Teil der Evolution des Menschen, die – Darwins Vorstellung einer natürlichen Selektion im Daseinskampf folgend – von neueren Denk- und Weltanschauungsmustern verdrängt und schließlich ersetzt werden würde. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung als eine Form des Umgangs mit religiös-säkularen Differenzen, hier um die Entstehung und Entwicklung des Lebens, erreichte somit einen Höhepunkt. Eine von evolutionärer Wissenschaft unterstützte Weltanschauung wurde öffentlichkeitswirksam in Kontrast zu religiösen Weltdeutungen gesetzt.
Die Galapagos-Inseln spielten für Julian Huxleys Verständnis eine wichtige Rolle. In seinem Einsatz für die Evolutionstheorie hatte er seit den 1930er-Jahren mit anderen Wissenschaftlern für den Erhalt der Inseln gekämpft. Der Ort, an dem Darwin aus dem „fairyland of creationism into the coherent and comprehensible world of modern biology“[6] getreten war, sollte als natürliches Freiluftlaboratorium für die Wissenschaft konserviert werden und der Menschheit die fortdauernde Evolution veranschaulichen. Mit der Gründung der Charles Darwin Foundation für die Galapagos-Inseln 1959, deren erster Ehrenpräsident Huxley wurde, und mit der Errichtung des Nationalparks Galapagos wurden die Grundlagen für die langfristige Bewahrung der Inseln für die Wissenschaft gelegt.
Kontroversen im Wissenschaftsparadies (Bedeutungen)
Im Jahr 2009, zum 150. Jahrestag von „Über die Entstehung der Arten“, wurde die enge Verflechtung der Galapagos-Inseln mit dem Erbe Charles Darwins abermals herausgestellt. Neben fünfzig Jahren der Naturbewahrung auf den Galapagos könne man auf eine „human and scientific success story“[7] zurückblicken. Ihre evolutionsbiologische Bedeutung hatte den Inseln zwanzig Jahre zuvor den ersten UNESCO-Welterbetitel gesichert. In dem Maße, wie die Galapagos-Inseln im Laufe der Zeit evolutionären Weltanschauungen Faktizität und Raum verliehen und den wachsenden Einfluss naturwissenschaftlicher Lebensbilder im 20. Jahrhundert markierten, repräsentierten sie aber auch eine Art neuen „heiligen Boden“, der Wissenschaftlern wie später auch Touristen und Investoren vermeintlich paradiesische Zustände zu sichern schien. Dass sich diese unterschiedlichen Nutzungs-, Bewahrungs- und Entwicklungsansprüche widersprachen, wurde bereits nach einigen Jahren klar. Ansteigende Siedler- und Touristenzahlen, Umweltprobleme, nationale Entwicklungsprogramme und internationale Wirtschaftsmärkte, wie der Fischerei- und Tourismussektor, drängten immer stärker auf die Galapagos-Inseln. Sie stellten Darwins Denkmal und das lebendige Testfeld der Evolutionstheorie laufend vor neue Herausforderungen.
weiterführende Literatur
Christophe Grenier, Conservation contre nature, Les îles Galápagos, Paris 2000. URL: <http://horizon.documentation.ird.fr/exl-doc/pleins_textes/divers09-03/010022562.pdf> (01.04.2016).
Edward Larson, Evolution’s Workshop, God and Science on the Galapagos Islands, New York 2001.
Pablo Ospina; Cecilia Falconí, Galápagos, Migraciones, economía, cultura, conflictos y acuerdos, Quito 2007.
Glenda Sluga, UNESCO and the (One) World of Julian Huxley, in: Journal of World History 21 (2010), S. 393–418.
Betty Vassiliki Smokovitis, The 1959 Darwin Centennial Celebration in America, in: Pnina G. Abir-Am u.a. (Hg.), Commemorative Practices in Science: Historical Perspectives on the Politics of Collective Memory, Chicago 1999, S. 274–323.
Diego Quiroga; Ana Sevilla, Darwin, Darwinism and Conservation in the Galapagos Islands, The Legacy of Darwin and its New Applications, Basel/Cham 2017.
Einzelnachweise
- ↑Originaltitel: Charles Darwin, On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life, London 1959.
- ↑Vgl. Registro Oficial Organo del Gobierno del Ecuador, N° 873, 20.07.1959.
- ↑Zit. n. Sol Tax, Evolution after Darwin: the University of Chicago Centennial, Chicago 1960, S. 249. URL: <https://archive.org/details/evolutionafterda03taxs> (01.04.2016).
- ↑Vgl. z.B. „Clergy Still Recoil From Huxley Speech“, Chicago Sun-Times, 05.12.1959; „Huxley Removes God“, Chicago Daily Tribune, 21.11.1959; „Centennial Speakers Find Theological Link To Darwin“, Chicago Sun-Times, 29.11.1959; Russel Porter, „Huxley Predicts New Ideology Founded on Facts of Evolution“, Special to the New York Times, 26.11.1959; „Archbishop Scores Biologist On Religion“, San Diego Union-Chicago Tribune Dipatch, 30.11.1959 [Julian Huxley Papers, WRC, Rice University, Houston, Texas, USA].
- ↑Zit. n. Sol Tax, Evolution after Darwin: the University of Chicago Centennial, Chicago 1960, S. 252f. URL: <https://archive.org/details/evolutionafterda03taxs> (01.04.2016).
- ↑Julian Huxley, Charles Darwin: Galapagos and After, in: Robert I Bowman (Hg.), The Galápagos: Proceedings of the Symposia for the Galápagos International Scientific Project, Berkeley 1966, S. 3.
- ↑So Jean Dorst, ehemaliger Präsident der Charles Darwin Foundation, im Rahmen der 50-Jahr-Feier ihrer Gründung (2009). URL: <http://www.galapagos.org/wp-content/uploads/2014/01/CDRS-50th-aniversary.pdf> (01.04.2016).
Zitierempfehlung
Elke Ackermann, Galápagos-Inseln / Islas Galápagos, in: Ortstermine. Umgang mit Differenz in Europa, hg. für das Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG) v. Joachim Berger, Irene Dingel und Johannes Paulmann, Mainz 2016. URL: http://www.ieg-differences.eu/ortstermine/elke-ackermann-galapagos-inseln, URN: urn:nbn:de:0159-20161020152.
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Abbildungsnachweis
Foto: Elke Ackermann