Amsterdam

von Cornelia Aust
Inhaltsverzeichnis
1 Synagogen in Amsterdam (Konstellationen)
2 Plurikonfessionelle Gesellschaft (Differenzen)
3 Anfänge religiöser Toleranz (Bedeutungen)
4 Weiterführende Literatur
5 Zitierempfehlung
Synagogen in Amsterdam (Konstellationen)
Plurikonfessionelle Gesellschaft (Differenzen)
Trotz ihrer Duldung anderer religiöser Gemeinschaften blieben die Niederlande in der Frühen Neuzeit ein calvinistisches Land, in dem sich jedoch im Laufe des 17. Jahrhunderts ein pragmatisches und erfolgreiches Modell einer plurikonfessionellen Gesellschaft entwickelte. Dies traf besonders auf Amsterdam zu, das seit dem späten 16. Jahrhundert außerdem eine enorme wirtschaftliche Anziehungskraft entwickelte. Ende des 16. Jahrhunderts ließen sich die ersten portugiesischen Neuchristen (conversos) in der Stadt nieder. Ihre Vorfahren waren Ende des 15. Jahrhunderts auf der Iberischen Halbinsel (meist unter Zwang) vom Judentum zum Christentum konvertiert. In Amsterdam kehrten immer mehr von ihnen einige Jahre nach ihrer Ankunft zum Judentum zurück, was die städtische Obrigkeit tolerierte. Die wirtschaftlichen Möglichkeiten und der Ruf religiöser Freiheit zogen im 17. Jahrhundert außerdem aschkenasische Juden aus Deutschland und Polen an, die vor dem Dreißigjährigen Krieg (1618–1648), dem Chmielnitzki-Aufstand (1648/49) und dem Schwedisch-Polnischen Krieg (1655–1660) geflohen waren. Auch französische Hugenotten sowie englische Puritaner und Quäker suchten in Amsterdam vor religiöser Verfolgung Zuflucht.
Trotz dieser Duldung, die vor allem von der städtischen Obrigkeit durchgesetzt und garantiert wurde, war das Zusammenleben nicht frei von religiösen Konflikten. Die Calvinisten waren unter Zustimmung anderer protestantischer Konfessionen bemüht, jeglichen offiziellen Status der katholischen Kirche zu verhindern, auch wenn die anti-katholische Gesetzgebung nicht immer umgesetzt wurde. Je mehr sich der Calvinismus als staatlich bevorzugte Konfession konsolidierte, desto stärker kam es von Seiten der reformierten Geistlichkeit zu Animositäten gegen Juden in Amsterdam. Seit Beginn des 17. Jahrhunderts fanden z.B. Disputationen zwischen sephardischen Juden und reformierten Geistlichen statt. Andererseits nahmen Repräsentanten beider jüdischer Gemeinden an öffentlichen Zeremonien teil.
Innerhalb der einzelnen Religionsgemeinschaften zeigten sich ebenfalls Spannungen. Gerade unter den Sephardim kam es immer wieder zu Zerwürfnissen, wenn zum Judentum zurückgekehrte Neuchristen mit der jüdischen Tradition und den Gesetzesvorschriften in Konflikt gerieten. Die beiden berühmtesten Fälle waren Uriel da Costa (ca. 1584–1640) und Baruch Spinoza (1632–1677). Da Costa wurde 1623 von der sephardischen Gemeinde exkommuniziert, da er die mündliche Lehre des Judentums und die Autorität der Rabbiner ablehnte. Aufgrund seiner heterodoxen Ansichten wurde er zudem von der städtischen Obrigkeit bestraft, die streng über die öffentliche Ordnung wachte. Spinoza wurde 1656 ebenfalls exkommuniziert, nachdem er den göttlichen Ursprung der Bibel, die rabbinische Autorität und die talmudische Tradition zurückgewiesen hatte. Gleichzeitig fand Spinoza in Amsterdam Gemeinsamkeiten mit christlichen Gelehrten, die mit den Konfessionskirchen gebrochen hatten. Trotz seiner Nähe zu christlichen Kreisen sah er jedoch keinen Grund, zum Christentum zu konvertieren.
Anfänge religiöser Toleranz (Bedeutungen)
Trotz der dominanten Stellung des Calvinismus und der starken Einschränkungen, denen katholische Gläubige in den Vereinigten Provinzen der Niederlande im 17. und 18. Jahrhundert unterlagen, entstand hier ein neues Modell für die Koexistenz verschiedener christlicher Konfessionen und das Zusammenleben von Christen und Juden. Statthalter Wilhelm I. von Oranien (1533–1584) war davon überzeugt, dass verschiedene Glaubensgemeinschaften gemeinsam in einem Staat existieren konnten, wobei vor allem ökonomische Argumente für diese (frühneuzeitliche) Toleranz ausschlaggebend waren. Nur ein solches Zusammenleben könne den wirtschaftlichen Erfolg des Landes garantieren, das tatsächlich im 17. Jahrhundert zum europäischen Handels- und Finanzzentrum aufstieg.
Daraus entwickelte sich ein pragmatisches Modell einer plurikonfessionellen Gesellschaft, in der die private und die öffentliche Sphäre getrennt waren. Die Religion rückte dabei ins Private. Die weltliche Obrigkeit hatte eine starke Stellung. Sie war bemüht, konfessionelle und religiöse Polemiken als auch wechselseitige Verleumdungen im öffentlichen Raum zu zensieren, um so den sozialen Frieden aufrecht zu erhalten. Gleichzeitig entstand eine Grauzone zwischen der privaten und der öffentlichen Sphäre, die Raum für individuelle Freiheiten ließ. So wurde es z.B. möglich, Religiosität auszuüben, ohne Mitglied einer Kirche oder einer jüdischen Gemeinde zu sein. Zwar gibt es dafür nur sehr wenige Bespiele, weil der soziale Druck der Gemeinschaft einem solchen Lebensmodell meist entgegenstand. Dennoch verweist diese Entwicklung auf ein Phänomen der Moderne, nämlich die Existenz von Individuen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören.
weiterführende Literatur
Jonathan Israel, The Dutch Republic: Its Rise, Greatness and Fall, 1477–1806. Oxford 1995.
Benjamin J. Kaplan, Calvinists and Libertines: Confession and Community in Utrecht 1578–1620. Oxford 1995.
Yosef Kaplan, An Alternative Path to Modernity: The Sephardi Diaspora in Western Europe. Leiden, Boston 2000.
Ronie Po-Chia Hsia u.a. (Hg.), Calvinism and Religious Toleration in the Dutch Golden Age, Cambridge 2002.
Daniel M. Swetchinski, Reluctant Cosmopolitans. The Portuguese Jews of Seventeenth-Century Amsterdam, London 2000.
Zitierempfehlung
Cornelia Aust, Amsterdam, in: Ortstermine. Umgang mit Differenz in Europa, hg. für das Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG) v. Joachim Berger, Irene Dingel und Johannes Paulmann, Mainz 2016. URL: http://www.ieg-differences.eu/ortstermine/cornelia-aust-amsterdam, URN: urn:nbn:de:0159-2016102038.
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Abbildungsnachweis
Wikimedia Commons – gemeinfrei