Thorenburg / Turda

Die römisch-katholische Kirche in Thorenburg, in der sich der Siebenbürger Landtag versammelte
Die römisch-katholische Kirche in Thorenburg, in der sich der Siebenbürger Landtag versammelte

von Andreas Zecherle

Inhaltsverzeichnis

1 Tagungsort des Siebenbürger Landtags (Konstellationen)
2 Die Gewährung religiöser Toleranz (Differenzen)
3 Eine Pionierregion für das friedliche Zusammenleben mehrerer Glaubensrichtungen (Bedeutungen)
4 Weiterführende Literatur
5 Zitierempfehlung

Tagungsort des Siebenbürger Landtags (Konstellationen)

In den Jahren 1552, 1557, 1564 und 1568 fasste der Siebenbürger Landtag in Thorenburg, dem heutigen Turda in Rumänien, bedeutende religionspolitische Beschlüsse. Sie gewährten eine für damalige Verhältnisse weitreichende religiöse Toleranz und ermöglichten das Zusammenleben mehrerer Glaubensrichtungen in einem Herrschaftsgebiet.

1540/1541 war das Königreich Ungarn dreigeteilt worden. Neben dem habsburgisch regierten Königreich Ungarn und der vom Osmanischen Reich verwalteten Provinz Buda entstand das weitgehend eigenständige Fürstentum Siebenbürgen. Die beiden angrenzenden Mächte bedrohten fortwährend die Eigenständigkeit des Fürstentums. Siebenbürgen musste dem Osmanischen Reich Tribute zahlen und stand von 1551 bis 1556 unter direkter habsburgischer Herrschaft. Fürst und Landtag bemühten sich darum, innere Auseinandersetzungen zu vermeiden, um den beiden Mächten keinen Anlass zum Eingreifen zu geben.

Der Siebenbürger Landtag besaß gegenüber dem Fürsten weitreichende Mitwirkungs- und Kontrollrechte. Auf dem Landtag waren neben dem ungarischen Adel die Volksgruppen der ungarischsprachigen Szekler und der deutschsprachigen Siebenbürger Sachsen vertreten, die beide über umfassende Selbstverwaltungsrechte verfügten. Die rumänische Bevölkerung, die im 16. Jahrhundert etwa ein Drittel bis die Hälfte der Einwohner Siebenbürgens ausmachte, hatte hingegen keine politischen Mitspracherechte. Sie gehörte der orthodoxen Kirche an, während die im Landtag vertretenen Volksgruppen zunächst Anhänger der römischen Kirche waren.

Die Gewährung religiöser Toleranz (Differenzen)

Seit 1541 wurde auf Initiative regionaler Kräfte unter den Ungarn und Sachsen Siebenbürgens die Reformation lutherischer Prägung eingeführt. Der Landtag versuchte zunächst, eine weitere Ausbreitung der Reformation zu unterbinden, hatte damit aber keinen Erfolg. In Thorenburg beschloss er dann im Jahr 1552, dass die Altgläubigen und Evangelischen friedlich miteinander umgehen sollten. Außerdem legte er fest, dass in der Szeklerstadt Neumarkt am Mieresch neben den Altgläubigen auch die Evangelischen ihren Glauben ausüben dürfen.

Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts gewann die von Huldreich Zwingli und Johannes Calvin geprägte reformierte Richtung der Reformation unter den Ungarn Siebenbürgens zunehmend an Einfluss. Im Jahr 1557 fasste der Landtag zu Thorenburg den grundsätzlichen Beschluss, dass sich jeder nach seinem Belieben für den alten oder neuen Glauben entscheiden und ihn ausüben dürfe. Dieses Recht galt allerdings nicht für jeden Einzelnen, sondern nur für die im Landtag vertretenen Stände. Die Einheit der evangelischen Lehre wollte der Thorenburger Landtag von 1557 wahren, indem er entschied, dass die Meinungsverschiedenheiten auf einer Synode beigelegt werden sollten. Im gleichen Jahr beschloss dann eine Synode in Klausenburg eine von Philipp Melanchthon geprägte Abendmahls- und Tauflehre. Dementsprechend beschränkte der Landtag 1558 die Wahlfreiheit auf den alten Glauben und den lutherischen Glauben nach dem Vorbild Wittenbergs.

Dennoch gelang es nicht, die Einheit der evangelischen Kirche in Siebenbürgen dauerhaft zu erhalten. Nachdem weder die Synode in Mediasch im Jahr 1561 noch die Synode in Straßburg am Mieresch im Jahr 1564 zu einer Einigung geführt hatten, standen sich zwei evangelische Glaubensrichtungen gegenüber. Die lutherische Glaubensrichtung, der die Siebenbürger Sachsen angehörten, hatte ihr Zentrum in Hermannstadt, die reformierte, der vor allem die Ungarn Siebenbürgens angehörten, in Klausenburg. Der Landtag, der 1564 in Thorenburg zusammentrat, reagierte auf das Scheitern der Einigungsbemühungen der Evangelischen: Er weitete die Toleranz aus, weil er die Ruhe im Land wahren und auf das Gewissen der Menschen Rücksicht nehmen wollte. Jeder Stadt und jedem Dorf wurde gestattet, sich frei für die Lehre der Hermannstädter oder Klausenburger Kirche zu entscheiden. Jeder Einzelne erhielt zudem das Recht, außerhalb seines Wohnortes den Gottesdienst der jeweils anderen Glaubensrichtung zu besuchen.

Seit Mitte der 1560er-Jahre gewannen die Unitarier, die die Einheit Gottes betonten und die Lehre von der Dreifaltigkeit Gottes ablehnten, in Siebenbürgen zunehmend Anhänger. Als der Landtag in Thorenburg 1568 grundsätzlich festlegte, dass jeder Prediger das Evangelium nach seinem Verständnis verkündigen dürfe und die Gemeinden das Recht hätten, ihre Prediger selbst auszuwählen, schloss dies auch die Unitarier ein. Der Landtag begründete seinen Beschluss in Anlehnung an den Brief des Paulus an die Römer (Röm 10,17) damit, dass der Glaube ein Geschenk Gottes sei und durch das Hören des Wortes Gottes entstehe. Diese theologische Begründung untermauerte die gewährte Toleranz, indem sie die Unverfügbarkeit des Glaubens betonte. Sie hatte aber auch eine einschränkende Bedeutung, da der Landtag unter dem Wort Gottes nur die Verkündigung im reformatorischen Sinn verstand. Die Predigtfreiheit galt daher ausschließlich für die verschiedenen evangelischen Richtungen, nicht aber für Altgläubige und Orthodoxe. Die wenigen verbliebenen altgläubigen Geistlichen waren bereits im Jahr 1566 durch einen Landtagsbeschluss ausgewiesen worden. Im gleichen Jahr hatte der Siebenbürgische Fürst Johann II. Sigismund einen calvinisch gesinnten rumänischen Bischof als geistliches Oberhaupt der größtenteils orthodoxen Rumänen eingesetzt. Der Thorenburger Landtag von 1568 bat den Fürsten, Strafen zu verhängen, um den starken Widerstand gegen den neuen Bischof zu brechen.

Eine Pionierregion für das friedliche Zusammenleben mehrerer Glaubensrichtungen (Bedeutungen)

Die Thorenburger Landtagsabschiede gewährten somit eine zwar durchaus begrenzte, für damalige Verhältnisse aber weit gehende religiöse Toleranz, die bemerkenswerterweise die Unitarier einschloss, die in West- und Mitteleuropa scharf verfolgt wurden. Siebenbürgen wurde so zu einer Pionierregion für das friedliche Zusammenleben mehrerer Glaubensrichtungen in einem Herrschaftsgebiet. Bis heute spielen die Thorenburger Beschlüsse, besonders jener von 1568, als Zeugnisse der Toleranz in der Erinnerungskultur Ungarns und der unitarischen Kirche eine wichtige Rolle.

weiterführende Literatur

Mihály Balázs, Über den europäischen Kontext der siebenbürgischen Religionsgesetze des 16. Jahrhunderts, in: Günter Frank (Hg.), Humanismus und Europäische Identität, Ubstadt-Weiher u.a. 2009, S. 11–27.

Ludwig Binder, Grundlagen und Formen der Toleranz in Siebenbürgen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, Köln u.a. 1976.

Erich Bryner, Die religiöse Toleranz in Siebenbürgen und Polen-Litauen im Kontext der europäischen Kirchengeschichte, in: Christian Moser u.a. (Hg.), Bewegung und Beharrung. Aspekte des reformierten Protestantismus, 1520–1650, Leiden u.a. 2009, S. 361–381.

Julia Dücker, Das Religionsedikt von Thorenburg (1568), in: Joachim Bahlcke u.a. (Hg.), Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa. Konstitution und Konkurrenz im nationen- und epochenübergreifenden Zugriff, Berlin 2013, S. 874–882.

Thorenburger Landtagsabschiede von 1552, 1557, 1564 und 1568 [in Bearbeitung], in: Irene Dingel (Hg.), Religiöse Friedenswahrung und Friedensstiftung in Europa (1500–1800). Digitale Quellenedition frühneuzeitlicher Religionsfrieden, Wolfenbüttel [2015-12-23], URL: <http://diglib.hab.de/edoc/ed000227/start.htm> (20.05.2016).

Zitierempfehlung

Andreas Zecherle, Thorenburg / Turda, in: Ortstermine. Umgang mit Differenz in Europa, hg. für das Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG) v. Joachim Berger, Irene Dingel und Johannes Paulmann, Mainz 2016. URL: http://www.ieg-differences.eu/ortstermine/andreas-zecherle-thorenburg, URN: urn:nbn:de:0159-20161020415.

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Abbildungsnachweis

Ana Maria Catalina. Lizenz: CC BY-SA 4.0.